Bearbeiten von „Weinbau“
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[[Datei:Woche-47-2010.jpg| | [[Datei:Woche-47-2010.jpg|thumb|right|300px|Weinberge hinter Unterjesingen]] | ||
Früher war der Weinbau ein wichtiges Standbein von Landwirtschaft und Wirtschaft, heute ist Wein aus Tübingen eher ein Nischen-Produkt. | |||
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== Zur Geschichte des Weinbaus in Tübingen == | == Zur Geschichte des Weinbaus in Tübingen == | ||
Ende des [[15. Jahrhundert]]s wurde auf fast 400 Hektar Wein von hoher Qualität angebaut, [[2009]] waren es in der Nähe der Innenstadt von Tübingen noch zwei. | Ende des [[15. Jahrhundert]]s wurde auf fast 400 Hektar Wein von hoher Qualität angebaut, [[2009]] waren es in der Nähe der Innenstadt von Tübingen noch zwei. | ||
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300 Jahre Niedergang folgten. Das hatte zum einen klimatische Gründe, eine kleine Eiszeit ließ die [[Temperaturen]] sinken. Aber auch politische: In der [[Reformation]] wurden die [[Klöster]] aufgehoben, die als Grundherren einen ertragreichen Weinbau organisierten. | 300 Jahre Niedergang folgten. Das hatte zum einen klimatische Gründe, eine kleine Eiszeit ließ die [[Temperaturen]] sinken. Aber auch politische: In der [[Reformation]] wurden die [[Klöster]] aufgehoben, die als Grundherren einen ertragreichen Weinbau organisierten. | ||
Der drastische Bevölkerungsrückgang im [[Dreißigjähriger Krieg|Dreißigjährigen Krieg]] (in [[Württemberg]] von 450 000 auf 160 000) setzte die Abwärtsspirale fort. Kaffee, Tee, Bier und Apfelmost machten dem [[Wein]] seine Rolle streitig.<ref Name="Feldmann" /> Mit zunehmend besseren Verkehrsverbindungen, die den Import wohlschmeckenderer Weine förderten, wurde der Weinbau wirtschaftlich immer uninteressanter.<ref name="Tuepps"> [http://www.tuepps.de/wein.html Der Wein und Tübingen]</ref> | Der drastische Bevölkerungsrückgang im [[Dreißigjähriger Krieg|Dreißigjährigen Krieg]] (in [[Württemberg]] von 450 000 auf 160 000) setzte die Abwärtsspirale fort. Kaffee, Tee, Bier und Apfelmost machten dem [[Wein]] seine Rolle streitig.<ref Name="Feldmann" /> Mit zunehmend besseren Verkehrsverbindungen, die den Import wohlschmeckenderer Weine förderten, wurde allerdings der Weinbau wirtschaftlich immer uninteressanter.<ref name="Tuepps"> [http://www.tuepps.de/wein.html Der Wein und Tübingen]</ref> | ||
Immer mehr [[Rebflächen]] wurden anderweitig bepflanzt, zum Beispiel als | Immer mehr [[Rebflächen]] wurden anderweitig bepflanzt, zum Beispiel als [Im Hopfengarten|Hopfengarten]] oder als [[Streuobstwiese]]n. Letztere lieferten den Most für den Eigenverbrauch. „Trotz des Preisverfalls konnten sich die [[Weingärtner]] den eigenen Wein nicht mehr leisten.“'' Das führte zu dem ungleichen Verhältnis [[Oberstadt]] und [[Unterstadt|untere Stadt]] und dem Bild von den raubauzigen [[Gôgen]] oder [[Raupen]]. Auch heute noch findet man an den Hauswänden der Altstadthäuser noch vereinzelt Weinstöcke. Die Reben dieser sogenannten "Simsenkrebsler" rankten an den Fenstersimsen in die Sonne und ihre Wurzeln versorgten sich aus der Abortgrube mit Nährstoffen. | ||
Als Mitte des [[19. Jahrhundert]]s die [[Rebkrankheiten]] dazukamen, hatte die Verelendung einen Höhepunkt erreicht. Der versuchte Sturm auf die [[Schweickhardtsche Mühle]] [[1847]] war der einzige Aufstand. Andere Auswege waren stiller: [[Auswanderung]] oder der Raupentod, der Selbstmord.<ref name="Feldmann" /> | Als Mitte des [[19. Jahrhundert]]s die [[Rebkrankheiten]] dazukamen, hatte die Verelendung einen Höhepunkt erreicht. Der versuchte Sturm auf die [[Schweickhardtsche Mühle]] [[1847]] war der einzige Aufstand. Andere Auswege waren stiller: [[Auswanderung]] oder der Raupentod, der Selbstmord.<ref name="Feldmann" /> | ||
Spätestens seit dem Jahr [[1484]] existiert in Tübingen die [[ | Spätestens seit dem Jahr [[1484]] existiert in Tübingen die [[Urbansbrüderschaft]].<ref>[http://urbansbruderschaft.de/ Urbansbruderschaft Tübingen e.V.]</ref> Seit [[1879]] gibt es die Tübinger Weingärtner-Genossenschaft (früher Tübinger Kelternverein). Damals zählte der Verein 493 Mitglieder, im Jahr 2004 zum 125. Jubiläum sind es noch 39, von denen 14 ihren eigenen Wein anbauen.<ref name="Tuepps" /> | ||
== Besonderheiten == | == Besonderheiten == | ||
=== Querreihen === | === Querreihen === | ||
Johann Philipp Bronner schrieb | Johann Philipp Bronner schrieb 1837 über Besonderheiten des Weinbaus in Tübingen und Wurmlingen: „Was man in ganz Württemberg den Kopf nennt, bezeichnet man hier mit dem Namen das Fiedle. Das was man allenthalben ein Schenkel nennt, heißt hier ein Bein.“ | ||
"Der größte Fehler bei der hiesigen Erziehung“, schreibt Bronner, „ist aber der, dass die | "Der größte Fehler bei der hiesigen Erziehung“, schreibt Bronner, „ist aber der, dass die | ||
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sie ... nach der aufsteigenden Richtung des Berges geführt werden ... hier ist aber gerade | sie ... nach der aufsteigenden Richtung des Berges geführt werden ... hier ist aber gerade | ||
das Umgekehrte beobachtet, die Bögen sind nämlich alle so gestellt, dass sie eine ziemlich | das Umgekehrte beobachtet, die Bögen sind nämlich alle so gestellt, dass sie eine ziemlich | ||
geschlossene grüne Wand bilden, die immer quer über den Weinberg läuft ...“ | geschlossene grüne Wand bilden, die immer quer über den Weinberg läuft ...“ Deshalb | ||
sieht man die Querreihen heute noch an der Wurmlinger Kapelle, wo Anton Brenner seinen „Rote Kapelle“ genannten Rotwein anbaut.<ref name="EcoRouge">[http://static.twoday.net/antonBrenner/files/Karte-Nov-Rueckseite.pdf Flaschenetiketten der Weine "Rote Kapelle" und "EcoRouge" von Anton Brenner.]<ref/> | |||
=== Pilzresistente Reben === | === Pilzresistente Reben === | ||
In den Weinbergen im Tübinger | In den Weinbergen im Tübinger Buckenloh wachsen noch alte, pilzresistente Reben, z.B. | ||
die „Oberlin Noir“. Schlitzohrige Gôgen haben die von den Nationalsozialisten verteufelten Hybriden über das Dritte Reich gerettet. Statt sie auszurotten, schnitten sie die Reben nur ab. Sie konnten also neu austreiben. Heute werden die pilzwiderstandsfähigen Reben anderswo neu entdeckt. Die neuen Sorten wie „Regent“ oder „Merzling“ sind oft weniger resistent und schmecken ungewöhnlicher als die Züchtungen des Elsässers Oberlin, die heute noch in den besten Weinbergen Burgunds zu finden sind. | die „Oberlin Noir“. Schlitzohrige Gôgen haben die von den Nationalsozialisten verteufelten Hybriden über das Dritte Reich gerettet. Statt sie auszurotten, schnitten sie die Reben nur ab. Sie konnten also neu austreiben. Heute werden die pilzwiderstandsfähigen Reben anderswo neu entdeckt. Die neuen Sorten wie „Regent“ oder „Merzling“ sind oft weniger resistent und schmecken ungewöhnlicher als die Züchtungen des Elsässers Oberlin, die heute noch in den besten Weinbergen Burgunds zu finden sind. | ||
Aus diesem „Oberlin“ ist Anton Brenners „EcoRouge“, ein wahrer Ökowein, der überhaupt nicht gespritzt werden muss. In der sonstigen Praxis müssen so genannte „Ökoweine“ oft häufiger mit den „milderen“ Mitteln gespritzt werden als im traditionellen Weinbau. Man wird sich daher um die alten pilzwiderstandsfähigen Sorten ebenso kümmern wie um neue Sorten der dritten Generation (von Valentin Blattner in der Schweiz und Georg Weiss in Österreich), die ganz ohne Spritzmittel auskommen.<ref name="EcoRouge" /> | Aus diesem „Oberlin“ ist Anton Brenners „EcoRouge“, ein wahrer Ökowein, der überhaupt nicht gespritzt werden muss. In der sonstigen Praxis müssen so genannte „Ökoweine“ oft häufiger mit den „milderen“ Mitteln gespritzt werden als im traditionellen Weinbau. Man wird sich daher um die alten pilzwiderstandsfähigen Sorten ebenso kümmern wie um neue Sorten der dritten Generation (von Valentin Blattner in der Schweiz und Georg Weiss in Österreich), die ganz ohne Spritzmittel auskommen.<ref name="EcoRouge" /> | ||
== Besenwirtschaften == | == Besenwirtschaften == | ||
Wer eigenen Wein in eigenen Räumen ausschenken möchte, darf eine | Wer eigenen Wein in eigenen Räumen ausschenken möchte, darf eine Besenwirtschaft eröffnen. Vier Monate im Jahr dürfen dann eigene Weine und einfache Speisen angeboten werden. Das Platzangebot ist auf vierzig Sitzplätze begrenzt. | ||
Anton Brenner und seine Familie betreiben ihren Altstadt-Besen seit 2006 als Familienbetrieb in der Haaggasse 22. In alter Besentradition kann man hier sein Viertele schlotzen (trinken) und ein anständiges Vesper zu sich nehmen. Dabei rückt man im Besen eng zusammen. Ungeniert zu anderen auf die Bank sitzen und neue und oft interessante Leute kennernlernen, ist das Geheimnis der Besenwirtschaften. Da kommen dann oft sehr unterschiedliche Menschen zusammen, vom Studenten über den alten Tübinger Gôgen bis zum “Neigschmeckten”. Und manchmal kommt auch Prominenz, das Tübinger Wochenblatt zitierte am 14. Februar 2009 die Meldung der Stuttgarter Zeitung: "Wenn der Alt-Grüne Rezzo Schlauch seinen Ministerpräsidenten und jung-schwarzen Freund Günther Oettinger in die Besenwirtschaft vom Sohn des tiefroten Stadtrats Anton Brenner in die Haaggasse einlädt, dann freut das jeden Tübinger Lokalpatrioten natürlich. Zumal die "Stuttgarter Zeitung darüber berichtet."<ref>[http://www.tuebinger-wein.de/index.htm Altstadtbesen Tübingen der Familie Brenner]</ref> | |||
== Ökonomische Fakten == | == Ökonomische Fakten == | ||
Die große Armut der | Die große Armut der Gôgen hatte mehrere Ursachen. Zum einen ist im Raum Tübingen die Erzeugung hochwertiger Weine aufgrund der Bodenbeschaffenheit nicht möglich, wodurch niemals hohe Preise für Tübinger Wein zu erzielen waren. Auch die heute von Hobbywinzern oder im Nebenerwerb angebauten Reben erreichen trotz moderner Hilfsmittel und Kunstdüngung meist keine hohe Qualität. | ||
Zum anderen sorgte die in Württemberg übliche [[Realteilung]] für Bewirtschaftungsflächen, die über die Generationen immer kleiner wurden. Im 19. Jahrhundert stand einer Gôgenfamilie im Durchschnitt eine Fläche von lediglich 3 bis 5 [[Morgen (Einheit)|Morgen]] (= ca. 1 bis 1,5 [[Hektar]]) zur Verfügung, was zur Ernährung einer Familie kaum ausreichte. Eine Ausweitung der Rebflächen war nicht möglich, da nur die ohnehin schon vollständig genutzten Südhänge für den Weinbau geeignet waren.<ref name="Wiki">[http://de.wikipedia.org/wiki/G%C3%B4g#.C3.96konomisches Ökonomisches zum Tübinger Weinbau] auf Wikipedia</ref> | Zum anderen sorgte die in Württemberg übliche [[Realteilung]] für Bewirtschaftungsflächen, die über die Generationen immer kleiner wurden. Im 19. Jahrhundert stand einer Gôgenfamilie im Durchschnitt eine Fläche von lediglich 3 bis 5 [[Morgen (Einheit)|Morgen]] (= ca. 1 bis 1,5 [[Hektar]]) zur Verfügung, was zur Ernährung einer Familie kaum ausreichte. Eine Ausweitung der Rebflächen war nicht möglich, da nur die ohnehin schon vollständig genutzten Südhänge für den Weinbau geeignet waren.<ref name="Wiki">[http://de.wikipedia.org/wiki/G%C3%B4g#.C3.96konomisches Ökonomisches zum Tübinger Weinbau] auf Wikipedia</ref> | ||
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Aber auch in den Jahren danach lebten die meisten Gôgen in großer Armut, da sich an den ungeeigneten Böden und den zu kleinen Anbauflächen nichts geändert hatte. Außerdem wurden gegen Ende des 19. Jahrhunderts aufgrund der verbesserten Transportwege vermehrt hochwertige Weine in den Raum Tübingen eingeführt, so dass der Tübinger Wein immer weniger Käufer fand. Daher gaben fast alle Gôgen den Weinanbau in den nachfolgenden Jahrzehnten auf oder betrieben ihn nur noch im Nebenerwerb. | Aber auch in den Jahren danach lebten die meisten Gôgen in großer Armut, da sich an den ungeeigneten Böden und den zu kleinen Anbauflächen nichts geändert hatte. Außerdem wurden gegen Ende des 19. Jahrhunderts aufgrund der verbesserten Transportwege vermehrt hochwertige Weine in den Raum Tübingen eingeführt, so dass der Tübinger Wein immer weniger Käufer fand. Daher gaben fast alle Gôgen den Weinanbau in den nachfolgenden Jahrzehnten auf oder betrieben ihn nur noch im Nebenerwerb. | ||
==Statistische Daten== | ==Statistische Daten== | ||
Martin Biastoch listet in seiner Dissertation von 1996 folgende Zahlen auf: | Martin Biastoch listet in seiner Dissertation von 1996 folgende Zahlen auf: | ||
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:*Der Rest ist Rosé, Weißherbst und Schiller. | :*Der Rest ist Rosé, Weißherbst und Schiller. | ||
Bereits 1880 war die Hopfenanbaufläche mit 948 Morgen größer als die Weinanbaufläche mit 330 Morgen. Mehr als die Hälfte des Ackerlands gehörte den Gôgen, der Rest gehörte dem evangelischen Stift, Handwerkern, Händlern, alteingesessenen Professorenfamilien, die die Gôgen für den Wein- und | Bereits 1880 war die Hopfenanbaufläche mit 948 Morgen größer als die Weinanbaufläche mit 330 Morgen. Mehr als die Hälfte des Ackerlands gehörte den Gôgen, der Rest gehörte dem evangelischen Stift, Handwerkern, Händlern, alteingesessenen Professorenfamilien, die die Gôgen für den Wein- und Hopfenanbau als Tagelöhner beschäftigten.<ref>Martin Biastoch: [http://books.google.de/books?id=A8Te_sZe4xUC&lpg=PA180&dq=Martin%20Biastoch%20umgangssprachlich%20gogen&hl=en&pg=PA180#v=onepage&q&f=false Tübinger Studenten im Kaiserreich.] Franz Steiner Verlag, 1996, Seite 180.</ref> | ||
==Weblinks== | ==Weblinks== | ||
* [http://www.tagblatt.de/Home/nachrichten/tuebingen_artikel,-Das-Aufleben-einer-nicht-einfachen-Tradition-_arid,83057.html Tagblatt-Artikel zur Weinbaugeschichte] | * [http://www.tagblatt.de/Home/nachrichten/tuebingen_artikel,-Das-Aufleben-einer-nicht-einfachen-Tradition-_arid,83057.html Tagblatt-Artikel zur Weinbaugeschichte] | ||
== Quellen == | == Quellen == | ||
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==Siehe auch== | ==Siehe auch== | ||
*[[Geschichte#Weinbau in Tübingen|Geschichte: Weinbau in Tübingen]] | *[[Geschichte#Weinbau in Tübingen|Geschichte: Weinbau in Tübingen]] | ||
*[[Weinstuben]] | *[[Weinstuben]] | ||
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*[[Unterjesingen]] | *[[Unterjesingen]] | ||
*[[Wurmlingen]] | *[[Wurmlingen]] | ||
[[Kategorie:Gôgen]][[Kategorie:Landwirtschaft]][[Kategorie:Wirtschaft]][[Kategorie:Pflanzen]] |