Wilhelmsstift
Das katholische Wilhelmsstift in der Collegiumsgasse 5 ist das Bischöfliche Theologenkonvikt der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Der Name bezieht sich auf den evangelischen König Wilhelm I. von Württemberg, der dieses Stift gründete, um Anfang des 19. Jahrhunderts eine ähnlich dem evangelischen Stift hochkarätige Ausbildungsstätte für die katholischen Nachwuchspriester Württembergs zu schaffen.
Priester- und Theologenausbildung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Während des Studiums wohnen und studieren hier ausschließlich die männlichen katholischen Theologie-Studenten, die vom Rottenburger Bischof als Diözesantheologen für den späteren priesterlichen Dienst zugelassen worden sind. Hier erfolgt die studienbegleitende Ausbildung parallel zum an der staatlichen Universtität durchgeführten Theologiestudium. Ziele dieser begleitenden Ausbildung sind:
- Menschlich-Christliche Reifung durch persönliche Begleitung und gemeinschaftliches Leben
- Theologische Bildung im Studium
- Pastorale Befähigung durch Praktika, Projekte, Exkursionen, studentische Initiativen
Diese drei Ziele bilden die Säulen der Priesterausbildung im Wilhelmsstift und ebenso in der zweiten Ausbildungsphase nach dem Studium im Priesterseminar in Rottenburg. Das Theologiestudium steht durch die enge Vernetzung von Wilhelmsstift und theologischer Fakultät im Fokus der ersten Ausbildungsphase, die pastorale Befähigung bildet den Schwerpunkt der zweiten Ausbildungsphase in Rottenburg.
Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Franziskanerkloster[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Wo heute das Wilhelmsstift steht, befand sich zuvor ein 1272 gegründetes Franziskanerkloster. Daran erinnert heute die Franziskusfigur im Innenhof des Wilhelmsstifts.
Das Collegium Illustre[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
In der Reformationszeit wurde das Franziskanerkloster aufgelöst und ist 1540 teilweise abgebrannt. Seit 1559 war in den verbliebenen Gebäuden ein "Collegium Illustre" eingerichtet worden, um junge Adlige auf den Staatsdienst vorzubereiten. Es gab eigene, von der Universität unabhängige Vorlesungen, aber auch Unterricht in Tanzen, Reiten, Fechten und Ballspielen. 1588-1592 wurde dann die heute noch bestehende Vierflügelanlage im Renaissancestil errichtet. Zum Bau wurden auch Steine aus dem 1580 abgebrochenen Stift Einsiedel herbei geschafft. Das dreistöckige Gebäude wurde von Georg Beer im späten Renaissancestil gebaut und umschließt einen rechteckigen Hof.
Das Collegium Illustre sollte als Ausbildungsstätte für Staats- und höhere Verwaltungsbeamte in Württemberg ein weltliches Pedant zum Evangelischen Stift sein. Es sollte allen offen stehen, wie die Torinschrift verkündete:
- „Hie sollin studiern zu jeder Zeit, Herrn von Adel und andere [L]eut.“
Doch kurz nach Eröffnung (1594) wurde das Collegium eine exklusive Ritterakademie für den protestantischen Adel aus ganz Europa, so dass außer württembergischen Prinzen nicht einmal der einheimische Adel Zugang fand.[2]
Während des Dreißigjährigen Krieges ruhte der Betrieb im Collegium und danach war es nur noch eine vornehme Unterkunft für die herzoglichen Sprösslinge und andere vornehme Gäste.
Alte Ansichten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Das Collegium diente am Anfang des 17. Jahrhunderts als Universitätsgebäude, wie auf den folgenden historischen Kupferstichen erkenntlich ist.
Im Südosten des Gebäudes befand sich die Turnhalle, die auch Ballhaus genannt wurde. Hier fand das Jeu de Paume, ein Ballspiel, seinen offiziellen Rahmen. in Deutschland gab es 65 dieser Saalbauten. Die Räume mit ungegliederten Innenwänden wurden durch ein Fensterband mit verschiebbaren Fensterläden unterhalb des Dachstuhls belichtet. Ein Netz spannte sich wie heute beim Tennis quer zur Raumtiefe, wobei es an einer Seite auf eine in den Raum gebaute Galerie traf, deren Pultdach Teil des Spielfeldes war. In dieser Galerie und auch an den Fenstern nahmen die Zuschauer am Geschehen teil.
Das Wilhelmsstift[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Unter König Wilhelm I. (1781 - 1864) wurde 1817 in dem Gebäude das „Höhere katholische Konvikt“ gegründet und nach dem Gründer „Wilhelmsstift“ genannt. Es ist seither Wohn- und Studienort für die Studenten der von Ellwangen nach Tübingen verlegten katholisch-theologischen Fakultät. Die katholisch-theologische Fakultät wurde 1817 gegründet und besteht seitdem neben der evangelisch-theologischen Fakultät.
Das Wilhelmsstift sollte die in der Säkularisation neu zu Württemberg gekommenen katholischen Gebiete etwa des Oberlandes mit Priestern versorgen. Seit dieser Zeit bildet die Diözese Rottenburg-Stuttgart ihren Priester-Nachwuchs im Wilhelmsstift aus.
Noch bis 1931 wurden hier Vorlesungen gehalten.
1979-81 erfolgten umfangreiche Umbaumaßnahmen, unter anderem mit komplettem Neubau des Ostflügels. 2013-16 wurden einige inzwischen als unpassend empfundene Modernisierungen rückgängig gemacht. Die nun denkmalgerechteren Umgestaltungen wurden als "Beispielhaftes Bauen" ausgezeichnet.[3]
Beim Umbau wurde auch die kostbare Bibliothek nach den neuesten Standards so modernisiert und klimatisiert, dass die teils über 500 Jahre alten Buchschätze dort gut aufgehoben sind. Im Laufe der Klosterauflösung in Württemberg um 1806 wurden aus vielen aufgelösten Klosterbibliotheken wertvolle alte Bücher ins Stift gebracht.
Berühmte Stiftler[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
- Walter Kasper (* 1933) Kardinal; Professor für Moraltheologie in Münster, Tübingen und Washington D.C.; Bischof von Rottenburg-Stuttgart; Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen in Rom
- Pater Rupert Mayer SJ (1876-1945), ein 1987 seliggesprochener Jesuitenpater, hatte vor seinem Eintritt in den Orden im Jahre 1900 in Tübingen sein Studium der Theologie absolviert und war hier Mitglied der katholischen Studentenverbindung Guestfalia. Später war er als Volksmissionar tätig und für seine besonderen Predigten bekannt. Diese Predigten brachten ihm auch in der Zeit des Nationalsozialismus mehrmals Verhaftungen, die Deportation in ein Konzentrationslager und schließlich die Internierung im Kloster Ettal ein. 1945 konnte er nach München zurückkehren, wo er im November des gleichen Jahres starb. Am 8. Oktober 2012 wurde vor dem Rupert-Mayer-Saal des Wilhelmsstifts die Stele „Redeverbot“ eingeweiht. Sie erinnert an ihn.[4]
- Georg Moser (1923–1988), Direktor der katholischen Akademie Stuttgart-Hohenheim; Titularbischof von Thiges und Weihbischof im Bistum Rottenburg; Bischof von Rottenburg (später: Rottenburg-Stuttgart)
- Joannes Baptista Sproll (1870–1949), Bischof von Rottenburg und prominenter Gegner des Nazi-Regimes
- bitte ergänzen -
Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
- Martin Biastoch: Tübinger Studenten im Kaiserreich. Eine sozialgeschichtliche Untersuchung. Contubernium - Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte Bd. 44. Sigmaringen 1996 ISBN 3-51508-022-8
Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Quellen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
- ↑ Robert Lukaschek und Joachim Kübler (Herausgeber):Kompendium der Geschichte, Gebräuche und Prinzipien der Akademischen Verbindung ALBERTUS MAGNUS Tübingen
- ↑ Alte Ansichten aus dem Kreis Tübingen
- ↑ https://www.akbw.de/baukultur/beispielhaftes-bauen/praemierte-objekte/detailansicht/objekt/wilhelmsstift-tuebingen-theologenkonvikt-umbau-pforte-foyer-innenhof-studentenzimmer-6137
- ↑ tuebingen.de Verwaltungsbericht 2077-14 (pdf)
