Hexenverfolgung

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Hexe in Hirschau

Hexenverfolgungen fanden im Kreis Tübingen noch bis ins 17. Jahrhundert statt. Hexenprozesse waren keine notwendigen Folgen eines magischen Weltbildes, das lange zuvor den Glauben an den Teufelszauber der Hexen ebenso umfasste wie tatsächlich geübte Volksmagie. Erst als einzelne Aspekte des Magieglaubens in das Strafrecht der frühmodernen Staaten übertragen wurden, kam es zur massenhaften Verfolgung.

Ein Interesse an der Verfolgung von Hexen beziehungsweise Deutungsmuster, die persönliches Unglück wie regionale Missernten und Krisen auf Magie zurückführten, war in breiten Bevölkerungskreisen vorhanden. Hexenverfolgungen wurden teilweise aktiv wie auch gegen den Willen der Obrigkeit eingefordert und praktiziert. Frauen stellten in Tübigen die Mehrzahl der Opfer wie auch der Denunzianten von Hexerei und Hexen.

Zweifel an Zauberkünsten und Kritik am Prozessverfahren

Die Deutung von Wetteranomalien, die im Volksglauben den Hexen und Zauberern zugeschrieben wurden, in der „Kleinen Eiszeit“ hatte einen nicht unerheblichen Einfluss auf die geistesgeschichtliche Entwicklung[1]. Besonders im Umfeld der Universität Tübingen äußerte sich eine Reihe von Theologen und Juristen kritisch gegenüber dem Hexenglauben, weil man Gottes Allmacht so umfassend sah, dass es keinen Wetterzauber bzw. Schadenszauber geben könne: Letztlich werde auch Unheil, Unglück und Unwetter von Gott selbst gelenkt, um Sünder zu bestrafen und die Gerechten zu prüfen. Schadenszauber, Hexenflug und Hexentanz seien teuflische Phantasie. Hexen könnten allenfalls wegen ihres Abfalls von Gott durch den Teufelspakt bestraft werden.

Zu diesem Kreis aus dem Umfeld der Tübinger Universität gehörten:

  • Martin Plantsch (um 1460–1533) aus Dornstetten, 1477 bis 1533 in Tübingen, betrachtete schon 1507, zwei Jahre nach einer Hexenverbrennung in Tübingen, Zauberei als Einbildung; das Wirken von Hexen kann nicht bekämpft werden, da es unter Gottes Willen steht[2]. Er hielt der verschiedene Unholdenpredigten, um die falschen Hexenvorstellungen beim leichtgläubigen und leichtfertigen Volk zu bekämpfen.[3]
  • Johannes Brenz (1499–1570) aus Weil der Stadt, 1537 bis 1538 in Tübingen, bestritt 1539 die Verantwortung von Hexen für einen großen Hagelsturm, hält aber ihre Bestrafung für gerechtfertigt, wenn sie sich selbst einbilden und die böse Absicht haben, im Bund mit dem Teufel zu stehen[4].
  • Matthäus Alber (1495–1570) aus Reutlingen, 1513 bis 1518 in Tübingen, und Wilhelm Bidembach (1538–1572) aus Brackenheim, Mitte der 1550er Jahre in Tübingen, führten 1562 in Stuttgart nach einem großen Hagelsturm ein öffentliches Streitgespräch gegen den Esslinger Pfarrer Thomas Naogeorg (1508–1563), der Hexen dafür verantwortlich machte und ihre strenge Bestrafung forderte[5].
  • Jakob Heerbrand (1521–1600) aus Giengen an der Brenz, 1543 bis 1600 in Tübingen, stellte 1570 die Disputations-These auf, dass Hexen weder zaubern noch Wetter machen können, und ließ dies von seinem Schüler Nikolaus Falck (1540–1616)[6] verteidigen[7].
  • (Theodor) Dietrich Schnepf (1525–1586) aus Wimpfen, 1539 bis 1555 und 1557 bis 1587 (mit Unterbrechungen) in Tübingen, wandte sich um 1570 in Predigten gegen den Hexenglauben[8].
  • Jacob Andreae (1528–1590) aus Waiblingen, 1541 bis 1546 und 1561 bis 1590 in Tübingen.
  • Johann Georg Gödelmann (1559–1611) aus Tuttlingen, 1572 bis 1578 in Tübingen, stellte als Jurist 1584 in Rostock für Marcus Burmeister Disputations-Thesen auf, in denen er Zauberkünste für „Teufelsgespinst, Trügerei und Phantasie“ hielt und die genaue Beachtung der Prozessvorschriften forderte[9]. 1591 veröffentlichte er ein entsprechendes dreibändiges Werk über den Umgang mit Hexen[10].
  • David Chytraeus (1530–1600) aus Ingelfingen, 1539 bis 1544 in Tübingen, gab 1587 eine niederdeutsche Schrift von Samuel Meier (1532–1610)[11] über die Hexenverfolgung heraus und sprach sich im Vorwort für äußerste Zurückhaltung in der Verfolgung aus.
  • Wilhelm Friedrich Lutz (1541–1597) aus Tübingen, 1567 bis etwa 1576 an der Tübinger Universität, sprach sich ab 1589 in Nördlingen in scharfen Predigten gegen die Hexenprozesse aus.
  • Johannes Kepler (1571–1630) aus Weil der Stadt, 1589 bis 1594 in Tübingen, verteidigte 1615–1620 die eigene, als Hexe angeklagte Mutter, Katharina Kepler, mit Hilfe eines juristischen Gutachtens, das wohl auf seinen Freund Christoph Besold (1577–1638), 1591 bis 1598 und ab 1610 bis 1635 in Tübingen, zurückgeht[12].
  • Theodor Thumm (1586–1630) aus Hausen an der Zaber, 1604 bis 1608 und 1618 bis 1630 in Tübingen, schränkte 1621 in seinen Disputations-Thesen für Mag. Simon Peter Werlin[13] die Strafbarkeit von Hexerei ein und plädierte für Hilfe für vom Teufel betrogene Frauen[14].
  • Johann Valentin Andreae (1586–1654) aus Herrenberg, 1601 bis 1614 (mit Unterbrechungen) in Tübingen, lehnte Scheiterhaufen als Strafe für Hexen grundsätzlich ab.

Siehe auch

Elmar M. Lorey: Der Rottenburger Fall von 1530. In: Die „Wahrheitsdroge“ im Hexenprozess? Mythos und Realität eines ritualisierten Trankes.


Quelle

Einzelnachweise

  1. Hartmut Lehmann, Frömmigkeitsgeschichtliche Auswirkungen der „Kleinen Eiszeit“, in: Wolfgang Schieder (Hg.), Volksreligiosität in der modernen Sozialgeschichte (Geschichte und Gesellschaft Sonderheft 11), Göttingen 1986, S. 31-50; Wolfgang Behringer, „Kleine Eiszeit“ und Frühe Neuzeit, in: Wolfgang Behringer / Hartmut Lehmann/ Christian Pfister, (Hg.), Kulturelle Konsequenzen der „Kleinen Eiszeit“, Göttingen 2005, S. 415-508.
  2. Opusculum de sagis maleficis, Martini Plantsch concionatoris Tubingensis, Heibronn 1507; herausgegeben von Heinrich Bebel.
  3. [http://wicca.erddrachin.de/php/index2.php?option=com_content&do_pdf=1&id=75 Hexenverfolgung in Baden-Württemberg.
  4. Homilia de Grandine, habita 1539, in: Pericopae evangeliorum quae usitato more in praecipuis Festis legi solent, Frankfurt 1557; deutsch übersetzt von Jakob Gräter Ein Predig von dem Hagel und Ungewitter, in: Evangelien der fürnembsten Fest- und Feyertagen, Frankfurt 1558 u. ö.; vgl. die Handschrift Homiliae Evangeliorum quae usitate more diebus dominicis proponuntur. Jo. Brentius Homiliae Halae Suev. ab ao 1524–44 unicum exempl. der Landesbibliothek Stuttgart (Cod. theol. et phil. fol. 278).
  5. Matthäus Alber / Wilhelm Bidembach, Ein Summa etlicher Predigen vom Hagel und Unholden, gethan in der Pfarrkirch zuo Stuotgarten im Monat Augusto Anno CLXII ... sehr nützlich und tröstlich zuo diser Zeit zuo lesen, Tübingen 1562.
  6. Aus Saalfeld bei Salzwedel, Magister, 1571–1586 Diakon in Augsburg, 1586 in Ulm ohne Amt, 1589–1594 Hofprediger in Ansbach, 1594–† 1616 Pfarrer in Crailsheim.
  7. De magia disputatio ex Cap. 7. Exo[dus]. Deo Patre per Jesum Christum, virtute Spiritus sancti nos iuvante praeside ... Iacobo Heerbrando, Sacrae Theologiae Doctore ..., Domino ac Praeceptore suo omni pietate colendo Nicolaus Falco Salveldensis, ad subiectas cum Quaestione Theses, XV. die Decembris, loco consueto, hora septima antemeridiana, pro ingenii sui viribus, exercitii causa, respondere conabitur, Tübingen 1570.
  8. Wilhelm Friedrich Lutz las 1589/90 zur Untermauerung seiner Kritik Abschnitte aus Predigten seines Lehrers Dr. Schnepf vor; vgl. Gustav Wulz, Wilhelm Friedrich Lutz (1531–1597), in: Lebensbilder aus dem Bayerischen Schwaben 5, hrsg. von Götz Freiherr von Pölnitz, München: Max Hueber 1956, S. 198-220, S. 212. Aus den Jahren 1563 bis 1572 sind von Martin Crusius (1526–1607) angefertigte Mitschriften von Tübinger Predigten Schnepfs erhalten (Universitätsbibliothek Tübingen, Mc 101).
  9. Disputatio de magis, veneficis, maleficis et lamiis], praeside Ioanne Georgio Godelmanno ... respondente Marco Burmeistero ... habita Rostochii XXVI. Febr. anni LXXXIIII. in collegio fratrum, Frankfurt am Main 1584, deutsch [tendenzielle Übersetzung] Frankfurt am Main 1592
  10. De Magis, Veneficis Et Lamiis, Recte Cognoscendis & Puniendis, Libri Tres, His accessit ad Magistratum Clarissimi et Celeberrimi I.C.D. Iohannis Althusij Admonitio, Bd. 1, Bd. 2 und Bd. 3, Frankfurt 1591.
  11. Samuel Meigerius, De Panurgia Laminarum, Sagarum, Strigum ac Veneficarum, Hamburg 1587
  12. Prozessakten im Hauptstaatsarchiv Stuttgart (A 209 Bü 1055 Q. 66).
  13. Aus Aurich bei Vaihingen; ∞ 1622 Sabina Burkhardt, Tochter von Professor Dr. Georg Burkhardt (1539–1607) aus Tübingen; nicht identisch mit dem Chronisten der Hexenprozesse von 1618 bis 1620 in Schiltach.
  14. Tractatus theologicus De sagarum impietate, nocendi imbecillitate et poenae gravitate, &c. ... praeside Theodoro Thummio, SS. Theologiae Doctore, eiusdem Professore & Ecclesiae Tubingensis Decano, Respondente M. Simone Petro Werlino, S.S. Theol. Studioso, Tübingen: Theodor Werlin 1621.