Sonderforschungsbereich 1391 „Andere Ästhetik“

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Sonderforschungsbereich 1391 „Andere Ästhetik“

Der Sonderforschungsbereich 1391 „Andere Ästhetik“ ist ein an der Universität Tübingen angesiedelter geisteswissenschaftlicher Sonderforschungsbereich, der Konzepte und Praktiken vormoderner Kunst untersucht. Das Projekt wird seit Juli 2019 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) für zunächst vier Jahre gefördert. Insgesamt umfasst der SFB 1391 „Andere Ästhetik“ 18 Forschungsprojekte, an zwei Projekten ist die Universität Stuttgart beteiligt. Die Einzelprojekte stammen aus 16 verschiedenen Disziplinen (Germanistik, Romanistik, Geschichtswissenschaft, Kunstgeschichte, Musikwissenschaft, Numismatik, Archäologie, Kirchengeschichte und andere). Sprecherin ist die Germanistin Annette Gerok-Reiter.

Forschungsprogrammatik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Sonderforschungsbereich nimmt seinen Ausgangspunkt bei aktuellen Debatten um die Bedeutung, die Funktion, aber auch die Grenzen der Kunst bzw. der Künste: Ästhetik ist im wissenschaftlichen und feuilletonistischen Diskurs stark präsent. Neurowissenschaften und Evolutionsbiologie untersuchen die genetischen wie neurologischen Grundlagen von Kreativität, Ästhetik und Kunstwahrnehmung. In den Gesellschaftswissenschaften wird beispielsweise die politische Indienstnahme der Kunst thematisiert. Die experimentelle Ästhetik analysiert die Wahrnehmung von Kunst- und Gebrauchsgegenständen. Im Feuilleton werden Fragen nach politischer Indienstnahme von Kunst neu diskutiert, Eugen Gomringers Gedicht „Avendias“ löste einen Skandal aus und warf die Frage „Was darf Kunst?“ erneut auf. Kontrovers geführt wird auch die Debatte um die Rolle künstlicher Intelligenz im Bereich ästhetischer Wahrnehmung und künstlerischer Produktion.

Diese Forschungsansätze und Diskussionen zeigen ein starkes aktuelles Bedürfnis Interesse am Thema Ästhetik, greifen aber oft unreflektiert auf die aus dem 18. Jahrhundert stammende Idee von der [des Kunstwerks] zurück. Die Frage nach der Rolle und Funktion der Kunst in sozialen Prozessen und Interaktionen gerät dagegen leicht aus dem Blick. Der SFB 1391 möchte daher alternative ästhetische Praktiken, Manifestationen und Konzepte erforschen, die nicht von autonomieästhetischen Positionen ausgehen. Das Untersuchungsgebiet umfasst dabei die Antike, das europäische Mittelalter und die Frühe Neuzeit, also die Epochen vor dem Zeitalter der philosophischen Ästhetik des 18. Jahrhunderts. Von der Beschäftigung mit diesen Themenbereichen sollen dabei auch Impulse für ästhetische Fragestellungen der Gegenwart ausgehen.

Der Sonderforschungsbereich greift also die Debatte um die Allgegenwart und Notwendigkeit von Kunst auf, wie sie die Gesellschaftswissenschaften, Evolutions- und Neurobiologie aufgeworfen haben, verknüpft sie aber mit einem neuen Verständnis ästhetischer Prozesse, das aus der Wechselwirkung zwischen technisch-artistischer Eigenlogik („autologische Dimension“) und sozialer Praxis („heterologische Dimension“) gewonnen werden soll. Die „autologische Dimension“ umfasst beispielsweise Materialien oder künstlerische Traditionen, die sich auf die Erarbeitung eines Kunstwerkes auswirken, während die „heterologische Dimension“ die gesellschaftlichen Zusammenhänge beinhaltet, in denen das Werk erschaffen und rezipiert wird. Die Verbindungen zwischen diesen Ebenen werden aus einer praxeologischen Perspektive als Interaktionen zwischen verschiedenen Akteuren, Akten, Aktionen und Artefakten verstanden. Auf Basis dieser Interaktionen – und weniger anhand theoretischer Konzepte – sollen die ästhetischen Vorstellungen der Vormoderne untersucht und neu bewertet werden.

Struktur und Teilprojekte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der SFB 1391 Andere Ästhetik gliedert sich in drei Projektbereiche: A („Praktiken“), B („Manifestationen“), C („Konzepte“). Hinzu kommt das Öffentlichkeitsprojekt „AKT – Aktualisierung, Kommunikation und Transfer. Andere Ästhetik im öffentlichen Raum der Gegenwart“.

Projektbereich A „Praktiken“[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • A01 Sebastian Schmidt-Hofner (Alte Geschichte), Richard Posamentir (Klassische Archäologie): Ästhetik der Präsenz und soziopolitische Kommunikation im archaischen und klassischen Griechenland (7.–4. Jh. v. Chr.)
  • A02 Johannes Lipps (Klassische Archäologie): ‚Andere‘ Ästhetik antiker Wirtschaftsräume in der späten Republik und frühen Kaiserzeit
  • A03 Sarah Dessì Schmid (Romanistische Linguistik), Jörg Robert (Neuere deutsche Literatur): Purismus – Diskurse und Praktiken der Sprachreinheit
  • A04 Thomas Schipperges (Musikwissenschaft): Bade- und Kurmusik in der Frühen Neuzeit
  • A05 Dietmar Till (Allgemeine Rhetorik) Die Pragmaästhetik der frühneuzeitlichen Epideiktik im 18. Jahrhundert

Projektbereich B „Manifestationen“[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • B01 Anja Wolkenhauer (Lateinische Philologie): ars et natura: Plinius’ kunstreflexive Mikronarrative im Kontext der Naturalis Historia
  • B02 Stefan Krmnicek (Antike Numismatik): Einprägende Bilder. Die Ästhetik(en) von Münzen in der römischen Kaiserzeit
  • B03 Manuel Braun (Germanistische Mediävistik, Stuttgart), Annette Gerok-Reiter (Germanistische Mediävistik): Semantiken des Ästhetischen in der deutschsprachigen Literatur des Mittelalters
  • B04 Sandra Linden (Germanistische Mediävistik), Daniela Wagner (Kunstgeschichte): Handelnde Personifikationen als ästhetische Reflexionsfigur in der Literatur und Kunst des Mittelalters
  • B05 Stefanie Gropper (Skandinavistik): Narrative (Selbst-)Reflexion in den Isländersagas
  • B06 Nils Reiter (Maschinelle Sprachverarbeitung), Angelika Zirker (Anglistik): Merkmale ästhetischer Reflexionsfiguren: Systematische Annotation und quantitative Analyse

Projektbereich C „Konzepte“[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • C01 Irmgard Männlein-Robert (Griechische Philologie): ‚Andere‘ Poetiken der Ekphrasis in der hellenistischen Dichtung
  • C02 Johannes Lipps (Klassische Archäologie), Anna Pawlak (Kunstgeschichte): Kreative Aneignung. ‚Andere‘ Ästhetik in der vormodernen Architektur und Kunst nördlich der Alpen
  • C03 Annette Gerok-Reiter (Germanistische Mediävistik), Volker Leppin (Kirchengeschichte): Der schoene schîn in der Mystik
  • C04 Anna Pawlak (Kunstgeschichte), Anja Wolkenhauer (Lateinische Philologie): Intermedialität als Ansatzpunkt ästhetischer Reflexion in der niederländischen Druckgraphik der Frühen Neuzeit
  • C05 Matthias Bauer (Anglistik), Angelika Zirker (Anglistik): Die Ästhetik gemeinschaftlicher Autorschaft in der englischen Literatur der Frühen Neuzeit
  • C06 Susanne Goumegou (Romanistik), Jörg Robert (Neuere deutsche Literatur): Augentrug, Traum und Täuschung – Der dämonische Ursprung der Illusion

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]