Karl Emil Kauffmann (* 23. November 1836 in Ludwigsburg; † 17. Juni 1909 in Tübingen) war Universitätsmusikdirektor in Tübingen und Komponist von mehr als 64 Liedern.
Emil Kauffmann gelang es während seiner 30jährigen Amtszeit in Tübingen, das Amt des Universitätsmusikdirektors in mehrerer Hinsicht aufzuwerten und die Aufgabenfelder nachhaltig zu verändern. Die entscheidenden Entwicklungen, die unter ihm stattfanden, führten nicht nur zur Entstehung des Faches Musikwissenschaft, sondern auch zu seiner Etablierung, auch wenn es erst Jahre später als ordentliches Prüfungsfach zugelassen wurde. Im Jahr 1881 wurde mit der Habilitation Emil Kauffmanns an der Universität Tübingen bereits der Grundstein für das Fach Musikwissenschaft gelegt.
Kindheit und Jugend[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Emil Kauffmann wuchs als jüngstes von vier Kindern in Ludwigsburg auf, bevor er als Fünfjähriger nach Heilbronn zog. Er litt unter einem durch ein Muttermal entstellten Gesicht und galt als introvertiert. Er war ein mittelmäßiger Schüler aber hatte durch seine musikalischen Eltern geprägt eine außerordentliche Liebe zur Musik. Sein erster Violinlehrer Professor Eduard Keller in Stuttgart wirkte darauf hin, dass er sich ganz der Musik widmen sollte.
Als 15-Jähriger wurde er in die Stuttgarter Hofkapelle aufgenommen, wo er Unterricht auf dem Klavier, der Geige sowie in Musiktheorie erhielt. Im Jahr 1862 wurde er dort erster Geiger. Während dieser Zeit sammelte er erste Erfahrungen als Dirigent und Komponist. Von 1867 bis 1868 leitete er den Stuttgarter Polytechniker-Liederkranz (später Akademischer Liederkranz). Ferner übernahm er die Leitung des Cannstatter Oratorienvereins und eines Männerquartetts, für das er vierstimmige Gesänge komponierte. Ab 1866 schrieb er für die Leipziger Allgemeine Musikalische Zeitung Berichte über das Stuttgarter Musikleben.
Er heiratete Emma, geb. Tritschler (1834-1915), mit der er eine glückliche Ehe führte und die Mutter seiner drei Kinder wurde. Sie unterstützte ihn auch in seinem musikalischen Werdegang, indem sie ihn am Klavierspiel und auf der Geige unterrichte. Durch sie angeregt beschäftigte er sich mit Musiktheorie und Musikgeschichte und las die Großen Dichter. Dadurch erreichte er einen ungewöhnlich hohen Grad an Belesenheit und legte schon in diesen Jahren den Grundstein, um später in sehr gebildeten, akademischen Kreisen zu verkehren. Dies war womöglich die Grundlage zur späteren Habilitation, wenn nicht sogar für seine Berufung zum Universitätsmusikdirektor überhaupt.
Musikschullehrer in Basel[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Der Herausgeber Selmar Bagge, in dessen Leipziger Allgemeine Musikzeitung er Berichte über das Stuttgarter Musikleben geschrieben hatte, verhalf Kauffmann 1868 zur Stelle des Hauptlehrers für Klavier-, Geigen- und Gesangsunterricht an der neu gegründeten Allgemeinen Musikschule in Basel (seit 1905 Musikschule und Konservatorium). Hier lernte er Brahms Musik kennen und schätzen und beschäftigte sich eingehend mit Johann Sebastian Bachs Sakralmusik. Neben seiner Arbeit als Musikschullehrer unterrichtete er auch an einer privaten Töchterschule. Schon zu Stuttgarter Zeiten hatte sich Kauffmann als Privatlehrer einen hervorragenden Ruf erworben. Sein berühmtester Schüler war der damalige Prinz Wilhelm, der spätere König Wilhelm II von Württemberg. In Basel öffnete sein begehrter Privatunterricht die Türen von sehr gebildeten und vornehmen Familien.
Rückkehr nach Tübingen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Nach 9½ Jahren, im Oktober 1877 kehrte er nach Tübingen zurück. Nach der Pensionierung des Universitätsmusikdirektors Otto Scherzer bewarb er sich für dessen Stelle, zog aber, nachdem er von der geringen Dotierung dieser Stelle erfahren hatte, seine Bewerbung wieder zurück. Es folgte ein formeller Ruf an ihn, er stellte seine Bedingungen, sie wurden erfüllt.
Am 1. Oktober 1877 trat er die Stelle des Universitätsmusikdirektors an und dirigierte im November 1877 zum ersten Mal die akademische Liedertafel. Er löste auch damit Otto Scherzer ab, der das Amt 17 Jahre lang innegehabt hatte. Dieser galt zwar auf musikalischer Ebene hervorragend, doch hatte er durch seine launenhafte und pedantische Art den Musikbetrieb in Tübingen geschädigt. Daher begegneten die Senatsmitglieder, die mit der Vergabe der Stelle betraut worden waren, Kauffmann zunächst mit einiger Skepsis. Hatte man noch bei Scherzer nicht viel Zeit darauf verwandt, die persönlichen Eigenschaften zu überprüfen - worunter auch pädagogisches Geschick fiel, was Scherzer völlig abging - so wollte man bei der Neubesetzung keineswegs allein auf das Maß musikalischer Qualitäten Rücksicht nehmen, sondern auch auf die gesellschaftliche Stellung und Bildung, den Charakter und den Takt in der Behandlung der Studenten.
Damit erfüllte Emil Kauffmann alle Voraussetzungen, um den Aufgaben des Musikdirektors gerecht werden zu können. Es gelang ihm schon im Vorfeld, sich gegen seine 11 Mitbewerber durchzusetzen, darunter der damals gerade habilitierte Musikhistoriker Hugo Riemann. Während seiner Amtszeit wandelten sich die an das Amt geknüpften Aufgaben wie folgt:
Neue Schwerpunkte bei der musikalischen Ausbildung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Bisher standen die musikalischen Aufführungen im Vordergrund, die der Musikdirektor für die akademischen Feierlichkeiten vorzubereiten und zu leiten hatte. Ihm oblag auch weiterhin die Leitung aller bestehenden Privat-Musikvereine: die Akademische Liedertafel, deren Leitung Emil Kauffmann bis 1896 innehatte, der Oratorienverein und der Orchesterverein.
Diese Akzentverschiebungen waren bereits erste Anzeichen für die Herauslösung der Musik aus ihrem traditionellen Gefüge als Teildisziplin, hin zu einem unabhängigen und eigenständigen Fach. Zwei weitere große Schritte in diese Richtung erfolgten 1881. In diesem Jahr verlieh das Ministerium Kauffmann die Lehrberechtigung. Schon für das Sommersemester 1880 wurde seinem Antrag stattgegeben, eine Vorlesung Harmonie-Formenlehre halten zu dürfen. Sie stieß mit 28 Besuchern durchaus auf Interesse. Dadurch sah sich Kauffmann veranlasst, eine reguläre Vorlesungsreihe über musikgeschichtliche Gegenstände ins Leben zu rufen und die Lehrbefugnis auf Lebenszeit zu beantragen. Am Ende seiner Amtszeit war die Zuhörerzahl in seinen Vorlesungen fast auf das Dreifache angestiegen.
Zur äußeren Legitimation der Lehrbefugnis reichte er zwei Jahre später seine Promotionsschrift mit dem Titel „Entwicklungsgang der Tonkunst von der Mitte des vorigen Jahrhunderts bis zur Gegenwart in ihren Hauptvertretern dargestellt“ nach, aufgrund deren er den Doktortitel erhielt. Dieser revolutionäre Aufstieg gipfelte 1899 in der Ernennung zum außerordentlichen Professor. Dadurch gelang es ihm, das seinem Amt anhaftende Lehrer- oder Künstler-Image endgültig abzustreifen. Was Kauffmann hier in mühevollem und unerschütterlichem Engagement für Amt und Fach erarbeitete, sollte auch weiterhin für seine Nachfolger gelten.
Neue Räumlichkeiten im Tübinger Pfleghof[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Der zweite und endgültige Schritt des Jahres 1881 vollzog sich durch die erstmalige Zuteilung eines eigenen Raums an den Musikdirektor. Im Jahr 1881 wurde der Pfleghof für den universitären Betrieb erschlossen. Im Wintersemester 1881/82 zog die Archäologen zusammen mit der Musikern auf dem Schulberg ein. Das Musik-Institut umfasste damals nur die Marien-Kapelle, die als Proberaum fungierte. Kauffmann trieb die Erweiterung des Instituts an. Zum Wintersemester 1907/08 wurde der Proberaum schließlich in die daneben liegende, ehemalige Kelter verlegt. Im ersten Stock kam ein Notenarchiv hinzu, die Kapelle wurde beibehalten.
Groß angelegte Aufführungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Ein weiteres Verdienst Emil Kauffmanns lag in seiner aufführungspraktischen Tätigkeit. Innerhalb kurzer Zeit hob er die unter Scherzer etwas heruntergekommenen Musikvereine auf ein neues Niveau an. Um die musikalischen Kräfte noch stärker bündeln zu können, schloss er 1889 den Orchester- und Oratorienverein zum Akademischen Musikverein zusammen. Das Ergebnis waren groß angelegte Aufführungen wie Bachs Johannes-Passion und Mozarts Idomeneo, die nicht nur von Kritikern hoch gelobt wurden, sondern auch über Tübingens Stadtgrenzen hinaus von sich reden machten. Mit seinen Konzertbesprechungen, die Kauffmann in der Tübinger Chronik veröffentlichte, trug er zusätzlich zur Heranbildung eines intellektuellen, bürgerlichen Publikums bei.
Daneben widmete sich Kauffmann der zeitgenössischen Musik, insbesondere den bis dahin noch recht unbekannten Komponisten Hugo Wolf und Anton Bruckner. Mit Konzerten wie der ersten reichsdeutschen Aufführung von Bruckners f-moll-Messe im Jahr 1900 und Wolfs Eichendorff-Chören 1906, trug er wie kein anderer zur Verbreitung deren Werke bei.
Ruhestand[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Ein Schlaganfall im Jahre 1906 beendete Kauffmanns Karriere. Die halbseitige Lähmung, die er davon zurück behielt, veranlasste ihn dazu, sein Pensionsgesuch einzureichen. Am 22. Juni 1907 trat er in den Ruhestand. Am 17. Juni 1909 starb er in Tübingen und fand auf dem dortigen Stadtfriedhof seine letzte Ruhestätte.
Würdigung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Dass er zum Dr. phil. und außerordentlichen Professor befördert wurde, waren zwei Ereignisse, die er nach eigenen Worten eigentlich nie ganz begreifen konnte, über die er sich aber ehrlich gefreut hat.
Als Zeichen der Anerkennung für seine Tübinger Dienste erhielt Emil Kauffmann die „große goldene Medaille für Kunst und Wissenschaft am Bande des Friedrichsordens.“
Nachfolge[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Seit der Tübinger Universitätsgründung waren praktisches Musizieren und Musiklehre fester Bestandteil des universitären Lebens. Im Amt des Universitätsmusikdirektors, wie es 1817 vom Tübinger Universitätssenat geschaffen wurde, waren zunächst beide Bereiche miteinander verknüpft: In den Aufgabenbereich des ersten Amtsinhabers Friedrich Silcher fiel die musikalische Ausbildung der Theologiestudenten beider Konfessionen. Darüber hinaus etablierte er bald musikhistorisch orientierte Veranstaltungen, die das gesamte Tübinger Bürgertum einbezogen.
Emil Kauffmann als Universitätsmusikdirektor und erster Extraordinarius setzte mit seinen musikwissenschaftlichen Vorlesungen diesen Gedanken fort und verankerte damit das Fach Musikwissenschaft im universitären Lehrkanon. Die von Emil Kauffmann begründete Bruckner-Aufführungstradition setzten Karl Hasse und Carl Leonhardt fort. Ernst Fritz Schmid hingegen rückte die wissenschaftliche Arbeit in den Vordergrund und schuf mit dem Landesmusikarchiv eine breite Basis für regionale Musikforschung. Die zunehmende Spezifizierung des Faches führte letztlich zur Aufhebung der Personalunion: Walter Gerstenberg wurde 1953 erster Ordinarius und Wilfried Fischer 1967 Universitätsmusikdirektor.
Quellen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Jasmin Steinetz: Emil Kauffmann. In Institutsgeschichtliche Ausstellung und Broschüre zur Feier des 125jährigen Bestehens des Fachs Musikwissenschaft in den Räumen des Pfleghofs. Herausgegeben von Ute Abele, Erik Daumann, Sven Gruber, Ramona Hocker, Christin Seidenberg, Jasmin Steinetz und Anke Wolf, November 2006, Seiten 21-25.
Auszug aus Emil Kauffmanns autobiographischen Lebenserinnerungen, Deutsches Literaturarchiv Marbach. In Institutsgeschichtliche Ausstellung und Broschüre zur Feier des 125jährigen Bestehens des Fachs Musikwissenschaft in den Räumen des Pfleghofs. Herausgegeben von Ute Abele, Erik Daumann, Sven Gruber, Ramona Hocker, Christin Seidenberg, Jasmin Steinetz und Anke Wolf, November 2006, Seiten 25-29.