Synagoge

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Die Synagoge in der Tübinger Gartenstraße 33 um 1885 - Anstrich mit "maurisch-islamischen Stilelementen"[1]
Innenansicht der Synagoge
Denkmal aus dem Jahr 2000 für die 1938 zerstörte Synagoge und die danach vertriebenen Tübinger Juden in der Gartenstraße 33 (Foto 2009)
Die dort verewigten Namen der vertriebenen und zum größten Teil ermordeten Tübinger Juden (Foto 2009)
Das Denkmal von Norden: vorn Stahlkubus, darin ein Brunnen, in der Mitte drei Platten mit den Namen über einer Wasserrinne, hinten gekantete Gedenkstele mit zwei Schrifttafeln auf den Rückseiten, (Foto 2010)

Die Tübinger Synagoge wurde am 8. Dezember 1882 in der Gartenstraße 33 eingeweiht.


Gründung der Jüdischen Gemeinde[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Funde lassen auf eine Ansiedlung von Juden im 12./13. Jahrhundert schließen. 1398 wird die Judengasse bei der Krummen Brücke erstmals urkundlich erwähnt. Höchstwahrscheinlich entstand das kleine Viertel am damaligen Stadtrand vor der Stadterweiterung von 1280. Aus jener Zeit stehen nur noch Reste der Grundmauern einiger Häuser, deren Keller wannartige Brunnen ungeklärter Funktion aufweisen (Ritualbäder?). Wann die erste Synagoge in Tübingen dort genau entstand, ist nicht bekannt. 1477 verfügte der württembergische Graf Eberhard im Bart im Zusammenhang mit der Universitätsgründung eine Ausweisung der Juden aus Tübingen.[2]

Erst 1848 war wieder eine Ansiedlung von Juden in Tübingen möglich, und die ersten Mitglieder der in Wankheim ansässigen jüdischen Gemeinde zogen nach Tübingen um. Im Mai 1882 wurde beschlossen, den Sitz nach Tübingen zu verlegen. Die Wankheimer Synagoge wurde abgebrochen, und in der Übergangszeit wurden von den Tübinger Stadtbehörden, bis zur Fertigstellung der neuen Synagoge, Räumlichkeiten für die Gottesdienste zur Verfügung gestellt. Nach acht Monaten Bauzeit konnte unter der Leitung des Oberamtsbaumeisters Riekert die neue Synagoge auf dem Grundstück Gartenstraße 33 erstellt werden: ein in ost-westlicher Richtung gestreckter Längsbau im Grundriss von 8,85 m auf 14,07 m. Die Fassade war ursprünglich in einem Mischstil von klassizistischen Formen (mit Anlehnungen an die Renaissance und Romanik) und maurischen Formen verziert. Im Inneren des Betsaales befand sich eine damals übliche Frauen-Empore. Die Decke war traditionell mit blauen Sternen auf weißem Hintergrund bemalt. Bei einer Renovierung 1930 wurde die Außenfassade weiß gestrichen. [3] Der Bau wies Ähnlichkeiten auf mit dem "schwäbischen Synagogen-Stil" (1780-1820 in Bayerisch-Schwaben)[4][5] und dem Rundbogenstil des 19. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum.

Bezirksrabbiner Dr. Michael Silberstein bei der Einweihung:

Mögest du, o Gott, wie Du es verheißen hast, hier nahe sein allen deinen Kindern, nicht nur dem Glaubens-, nein, auch dem Menschenbruder, erhöre sein Flehen, in welcher Sprache und Zunge er auch zu dir bete, sei ihm gnädig, welchem Volk er auch entstamme, denn also hast du einst gesprochen: mein Haus soll den Namen 'Bethaus für alle Völker' tragen.

Die Gemeinde zählte zu Anfang des 20. Jahrhunderts etwa 100 Mitglieder und konnte sich nur einen besoldeten Kultusbeamten als Vorsänger, aber keinen Rabbiner leisten.

Zerstörung der Synagoge[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Schon im Januar 1928 wurde ein Anschlag auf die Tübinger Synagoge verübt, wobei eines der großen Fenster mit schweren Steinen vollständig zertrümmert wurde.[3]

In der Reichspogromnacht (umgangssprachlich: "Reichskristallnacht") vom 9. auf den 10. November 1938 wurde diese Synagoge wie viele andere Synagogen in Deutschland von SA- und SS-Männern zerstört und dann auf Befehl des Kreisleiters niedergebrannt. Fünf Tübinger Juden wurden anschließend verhaftet und für mehrere Wochen nach Dachau verschleppt. Zwei starben später an den Folgen der Misshandlungen. Die Jüdische Gemeinde wurde 1939 aufgelöst nachdem die verbliebenden Juden den Abriss ihrer zerstörten Synagoge selber bezahlen mussten.[6] Die brauchbaren Reste ließ die Stadtverwaltung als Baumaterial versteigern. Der Erlös betrug sechsundachtzig Reichsmark. Der unbrauchbare Schutt wurde in das alte Neckarbett gekippt, der Platz vom städtischen Bauamt eingeebnet und von der Stadtgärtnerei begrünt. Nichts sollte mehr an die frühere Nutzung erinnern. Den abgeräumten Platz kaufte die Stadt im Dezember 1940 für 3.965 RM deutlich unter Wert.[7]

Denkmal Synagogenplatz[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Grundstück an die Israelitische Kultusgemeinde Württemberg in Stuttgart zurückgegeben. Diese verkaufte es, um mit dem Geld Überlebende zu unterstützen. Das Grundstück wurde in den 1950er Jahren mit einem Wohnhaus überbaut.

Die Anbringung einer Gedenktafel wurde von der bürgerlichen Fraktion des Tübinger Gemeinderates in den 1960er Jahren mit Begründungen wie folgender verhindert:

„Die Vertreter der öffentlichen Ordnung sind mit diesen kollektiven Schicksalsproblemen des Jahrhunderts überfordert, da es sich um historische, rechtliche, theologische Probleme handelt, die nicht in Jahrzehnten, vor allem nicht in kleinen Fraktionen, behandelt, gelöst oder wenigstens gelindert werden könnten.“ Gerhard Weng (CDU-Fraktionsvorsitzender und späterer Landtagsabgeordneter) [8][9]

Erst am 9. November 1978 wurde am sogenannten Lützelbrunnen neben dem Grundstück der ehemaligen Synagoge vom damaligen Oberbürgermeister Dr. Eugen Schmid ein Gedenkstein enthüllt. Der Text auf dem Denkmal lautet:

Hier stand die Synagoge der Tübinger jüdischen Gemeinde. Sie wurde in der Nacht vom 9./10. November 1938 wie viele andere in Deutschland niedergebrannt.

Dieser Text wurde nach Protesten in der Tübinger Bevölkerung um folgenden Satz verlängert:

Zum Gedenken an die Verfolgung und Ermordung jüdischer Mitbürger in den Jahren 1933 bis 1945.[10]


1998 begannen auf dem ehemaligen Synagogenplatz Baumaßnahmen für eine große Wohnanlage. Dabei stieß man unerwartet auf die Fundamente der ehemaligen Synagoge. Der Bau wurde zunächst eingestellt. Es kam zu einer intensiv geführten öffentlichen Diskussion, wie mit dem Platz und seiner Gestaltung zu verfahren sei.[11] Erklärtes Ziel war es schließlich, mit einem künstlerisch gestalteten Denkmal (neben der neuen Wohnanlage) an das Schicksal der Tübinger Juden angemessen zu erinnern und damit ein deutliches Zeichen gegen das Vergessen zu setzen. Das überwiegend von Tübinger Bürgern finanzierte Denkmal wurde von Jörg Weinbrenner, der Architekten-Werkgemeinschaft Nürtingen und dem Bildhauer Gert Riel aus Remshalden gestaltet. Initiiert wurde es von der Bürgerinitiative "Projektgruppe Denkmal Synagogenplatz" in Zusammenarbeit mit der Universitätsstadt Tübingen. Einweihung war am 9. November 2000.[12]

Ein den alten Brunnen umgebender Stahlkubus mit 101 quadratischen Öffnungen steht nun symbolisch für die zerstörte Synagoge. Eine neue Schicht des Gedenkens legt sich um eine ältere, weist die Betrachtenden nicht nur auf das Verbrechen hin, sondern auch auf den heutigen Umgang mit der Erinnerung. Die 101 Öffnungen erinnern an die vertriebenen und ermordeten Tübinger Juden. Ihrer wird namentlich auf Tafeln an einer Wasserrinne gedacht. In ihr fließt das Brunnenwasser mit leichtem Gefälle auf eine hohe, aus zwei Stahlplatten gefügte Stele zu, den "Ort gegen das Vergessen". Auf der Innenseite der hohen Stahlstele sind Texte zur Geschichte und Zerstörung der jüdischen Gemeinde Tübingen-Reutlingen angebracht. Eine weitere Tafel dokumentiert den schwierigen Umgang mit dem Synagogengrundstück nach dem Zweiten Weltkrieg.[13]

Das umgebende Straßenstück wurde 1998 Synagogenplatz genannt.

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks und Quellen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]