Lenzei

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Lenzei vor dem Haagtor, im Hintergrund das Tübinger Schloss
Vorne rechts die Brauerei Lenzei, im Hintergrund links die Ammergasse und rechts die Haaggasse

Die Lenzei war eine nach der Familie Lenz benannte Brauereigaststätte in Tübingen.

Geschichte des Gebäudes

Rosine Lenz

Rosine Lenz eröffnete in den 1830er Jahren im Gebäude Hirschgasse 1 eine Schankwirtschaft, die nach ihr den Namen Lenzei erhielt. Rosine Lenz hatte fünf Kinder, aber ihr Mann Johann Gottlieb Lenz (1781–1828) starb früh. Das Haus, in dem die Familie wohnte und in dem ihr Gatte eine Schreinerei betrieben hatte, war bei dessen Tod noch nicht abbezahlt. Rosine schaffte es, dieses schuldenfrei zu bekommen und ermöglichte ihren beiden Söhnen eine Ausbildung. Gottlieb Lenz, der älteste Sohn, lernte Bierbrauer, und Gustav Lenz ging aufs Polytechnikum nach Stuttgart.[1]

Gottlieb Lenz

Gottlieb Lenz gründete in den 1840er Jahren außerhalb der Stadtmauer Vor dem Haagtor 1 eine Brauerei, die anfangs den Namen „Neue Lenzei“ erhielt und heute umgangssprachlich „Lenzei“ genannt wird. Auch Gottlieb Lenz starb früh: 1866. Seine Witwe Karoline verpachtete die Gaststätte und die Brauerei zunächst an die Brüder Kommerell. Sie selbst aber blieb Eigentümerin. 1875 übernahmen ihr Sohn Adolf Lenz und ihr Schwiegersohn W. Henßler die Brauerei und Gastwirtschaft und betrieben sie weiter. Bis Ende der 1890er Jahre braute die Familie Lenz in den drei nebeneinanderliegenenden Gebäuden mit den Hausnummern 1/1, 1/2, der heutigen „Manufaktur“ und 3.[2]

Als die Volksbank Tübingen von 26 Tübinger Bürgern 1886 gegründet wurde, fand sie ihren ersten Sitz in der Lenzei.[3]

Adolf Lenz und sein Schwager Wilhelm Henzeler beantragten 1897 bei der Stadt Tübingen die Erlaubnis zur „Wasserentnahme an der Ammer zur Kühlung eines Kondensators“. Kurz darauf, im Jahr 1900, wurde die Brauerei aus dem städtischen Gewerbesteuerkataster gestrichen, da kein Lenz-Bier gebraut wurde und das Gasthaus sein Bier fortan von den „Vereinigten Brauereien Stuttgart-Tübingen“ im Waldhörnle bezog. Dem zwielichtigen Gaststättenpächter Hans Claß wurde 1921 die Konzession entzogen, weil er laut historischer Aktenlage ein illegales Bordell betrieben haben soll: „Es liegen Tatsachen vor, die die Annahme rechtfertigen, daß die Claß’schen Eheleute ihr Gewerbe zur Förderung der Völlerei und Unsittlichkeit mißbrauchten.“[2]

Gustav Lenz

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Gustav Lenz, ein Tübinger Handwerksgeselle, der 1848 nach Amerika emigrierte

Gustav Lenz, der Bruder des Lenzei-Besitzers, war wahrscheinlich an der Märzrevolution von 1848 in Südwestdeutschland beteiligt. Im Mai 1848 reiste der 21-Jährige im spartanischen Zwischendeck eines Auswanderer-Segelschiffs von Antwerpen nach New York.[4]

Nach seiner Emigration schlug er sich in New York als Maschinenbauer durch und berichtete über seine Erlebnisse in heute noch erhaltenen Briefen an seine Schwester, Marie Lenz, sowie an seine Mutter, Rosine Lenz, die in Tübingen die Gaststätte „Lenzei“ gegründet hatte.[5] [6] Der Briefwechsel mit seiner Familie aus den Jahren 1847 bis 1853 ist ein Zeitzeugnis und belegt, dass Gustav Lenz in New York nicht so recht zufrieden war. Insbesondere die Suche nach einem Arbeitsplatz war für ihn weitaus schwieriger als erwartet. „Vielen Deutschen blüht hier ein sehr trauriges Loos“, schreibt Lenz am 20. März 1849. „Man kann hier allein ein paar Tausend solcher Unglücklichen zählen, welche sich von gar nichts anderem nähren als dass sie Lumpen und Beiner auf den Straßen sammeln.“[7]

1851 kündigte er seiner nach wie vor in Tübingen lebenden Mutter an, dass er zurückkehren werde, sobald sich in Deutschland das „dunkle Gewölke“ vom „politischen Himmel“ verzogen habe. Da er sehr hart arbeitete, ohne eine echte Aufstiegschance für sich zu erkennen, war er wenig motiviert, „lange den Capitalisten meine Kräfte anzubieten“. Drei Jahre später kehrte er gemütskrank nach Tübingen zurück und lebte wieder bei seiner Mutter.[4]

Weitere Besitzer

Café Haag und Kino Atelier in der ehemaligen Lenzei

Weitere Besitzerwechsel gab es 1906, als die Bachnersche Brauerei AG Tübingen-Stuttgart das Gebäude übernahmen und 1912, als die Vereinigten Brauereien (VB) Stuttgart-Tübingen deren Nachfolger wurden. [8]

Die Studentenverbindung Guestfalia war dort gerne zu Gast, bevor sie 1899 beschloss, ein eigenes Haus auf dem Österberg zu bauen.[9] 1922 erwarb dann der „Altherrenverband“ der katholischen Studentenverbindung „Cheruskia“ die „Lenzei“ – als Kneiplokal mit einem Chargenzimmer nebst Spiel- und Empfangzimmer im 1. Stock. Die Mitgliederzahl nahm stetig zu. Durch die hohe Aktivenzahl wurde der Gedanke an einen Hausneubau stärker, da die Räumlichkeiten in der Lenzei nicht mehr ausreichend Platz boten. Die Verbindungsära endete jedoch im Jahr 1936 als die Cheruskia vorüberghend aufgelöst werden musste und nach dem Zweiten Weltkrieg auf dem Österberg ein neues Haus baute.

Gustav Nufer

Gustav Nufer, ein „gewesener Zimmermann“, war der Kriegs- und Nachkriegswirt der „Lenzei“. Nufer hatte zuvor seit 1919 im Gasthaus „Haagtor“ in der Haaggasse 34 eine Wirtschaft betrieben. Er kaufte die „Lenzei“ und bekam die Konzession, weil er „urkundlich auf die Schankerlaubnis in der Haaggasse verzichtet“. Nufer führte die „Lenzei“ mit „Bürgerküche“ bis 1956 mit einer zweiwöchigen unfreiwilligen Schließung im September 1941, nachdem er „zehn bis zwölf HJ-Angehörige“ mit Alkohol und Zigarren versorgt hatte. Die „jugendlichen Hitlerjungen“ waren nach einer Feier im Gasthaus zum Schlachthof gegen Mitternacht in der „Lenzei“ aufgeschlagen und dort bewirtet worden.

Von 1956 bis 1964 wurde die Gaststätte am Haagtorplatz von Gustav Nufers Tochter Ella Alix und ihrem Mann Jean betrieben. Danach verpachtete die Familie die Gaststätte an Wirte wie Richard Lorenz oder Dieter Kehrer, die bürgerliche Küche anboten, und später an Antonio Russo und andere italienische Gastronomen.[2]

Seit Februar 1989 sind in dem Gebäude das das Café Haag und das Kino Atelier von Stefan Paul.[10] [11]

Quellen